HIMMEL UND BAUCH
Kloster St. Marienberg, Helmstedt, 1999

 

Ein Hauch könnte die zarten, aus transparentem Papier zusammengesetzten Gebilde zerstören. Garn hält sie zusammen und durchdringt sie mit Nähten, die einer ornamentalen Logik folgen. Dünne Fäden und kleine Nägel sind die Verbindung zur Wand, die mehr Hintergrund als Träger für die vom Luftzug stets leicht bewegten Blätter ist.

Zeichnungen nennt lsabel Schmiga diese Arbeiten. Doch es fehlt die Unmittelbarkeit des Striches, das Handschriftliche wird übersetzt durch die Nähmaschine, der Fluß der Linie ist zergliedert in aneinandergereihte Stiche. Mechanisierung schiebt sich als distanzierende Maßnahme zwischen die Hand der Künstlerin und das Auge des Betrachters, ohne die Verführungskraft des Handwerklichen, das diesen zerbrechlichen Kompositionen anhaftet, zu brechen.

Wie die Zeichnungen sind auch die Skulpturen von einem eigenartigen Gegensatz geprägt: sie sind von klassischer Strenge, und sie sind spielerisch zugleich. Die Klassizität rührt, wie sollte es anders sein, von der Ausgewogenheit und den klaren Proportionen der Formen, der Ruhe ihrer Anordnung. Doch ist es nicht die Ruhe gelagerter Massen, es ist vielmehr eine Ruhe an der Grenze zur Bewegtheit, Ruhe in der Schwebe. Das Spielerische liegt in der Wahl und im Umgang mit den Materialien. Die Skulpturen sind aus Stoff, aus weichen Hüllen gefertigt, die allein durch ihre Füllung aus Sand die nötige Erdenschwere erhalten. Gummibänder, Knöpfe, Häkchen und Ösen sind die verbindenden Elemente, die symmetrische Ordnungen und ein fragiles Gleichgewicht herstellen.

Diese feingliedrigen Arbeiten sind wie ein ironischer Kommentar zur Rhetorik der Männerarbeit und zum Schweiß, der allzu oft an Werken der Bildhauerei klebt. Nicht Massen stoßen aufeinander, sondern Texturen, die immer auch als Volumen sichtbar werden. lsabel Schmiga hat ihr auf das Dreidimensionale gerichtete Vorstellungsvermögen mit einem schönen Bild beschrieben: sie könne nicht malen, nicht auf einer Fläche arbeiten, denn sofort sähe sie eine Leinwandfaser vor sich, die nach einem Farbpartikel greife.

Der Gegensatz zwischen klassischer Strenge und Spiel, der die künstlerische Arbeit auszeichnet, findet sich auch in der persona der Künstlerin. Es ist ein Gegensatz, der an eine literarische Figur erinnert, an das Käthchen von Heilbronn. Mit der selben Unbeirrbarkeit geht lsabel Schmiga ihren Weg, mit der selben Ironie wird der Ernst der Unternehmung durchkreuzt. Er wird nicht gebrochen, aber er muß sich einer beständigen, wenn auch spielerischen Herausforderung stellen. So ist auch die Bezogenheit auf den jeweiligen Ort, für den lsabel Schmiga arbeitet, keine direkte, eindeutige. Ihre Skulpturen ergreifen den Raum, ohne ihn indes ganz zu vereinnahmen, und manchmal treiben sie verborgene Eigenschaften erst hervor.

In den Skulpturen für die Ausstellung Himmel und Bauch im Kloster St. Marienberg ist der Fisch ein Leitmotiv. Als Symbol, das in der christlichen Ikonographie zuerst die Gläubigen, dann Christus selber bezeichnete, stellt der Fisch eine Verbindung zum Himmel, aber auch zum Bauch her. Er eröffnet, als Stellvertreter Christi, eine eschatologische Perspektive, bedeutet ein Heilsversprechen. Er erinnert aber auch die alttestamentarische Geschichte von Jonas und dem Wal, der früher noch Walfisch heißen durfte, eine Geschichte, die Tod und Auferstehung Christi präfiguriert. Ein zweites Motiv ist die Umhüllung. Der Ort selbst, das Kloster, ist eine Hülle, die eine Welt in der Welt umfaßt. Diese Hülle ist derzeit wiederum umhüllt von den Gerüsten und Planen der Restaurierungsarbeiten. Das Motiv des Eingehülltseins erscheint in den Variationen der Grundform Ei, die gefaßt wird von warmen Stoffen. Sie bilden einen Kontrast zu den raumgreifenden Schläuchen aus orangefarbener Regenhaut, dem ironischen Reflex der Baumaßnahmen.

BEATE SÖNTGEN
Professorin für Kunstgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum