SCHWEBETEILCHEN
Galerie Werkstatt, Reinach/Basel, 2005

PRESSETEXT
Isabel Schmiga (*1971, lebt und arbeitet in Basel und Berlin) durchtrennt Zusammengehöriges: Auge und Mund, Haut und Hund. Dabei entweicht kein Blut.

SEAMING (2005) ist eine graphische Installation aus unzählbaren Bestandteilen: Augen sind es, ausgeschnitten aus Hochglanzmagazinen mit künstlichen Wimpern versehen. Eine kostbar schillernde Käferkolonie krabbelt auf langen seidigen Beinchen durch den Raum, ein vielfarbiger Strom, exotische Insekten auf geheimnisvollen Spuren. Wachgerufene Erinnerungen an Buñuels UN CHIEN ANDALOU (1928) oder der Topoi der Augen als Spiegel der Seele umflattern den Betrachter wie Nachtfalter das Licht. SEAMING ist das jüngste Derivat aus dem Labor einer Künstlerin, die sich mit der Vielsprachigkeit bekannter Dinge und Symbole auseinandersetzt und dabei ganz nebenher, auf scheinbar unschuldige Weise die Mechanismen einer kontrollsüchtigen und viel mehr noch schönheitsbesessenen Gesellschaft aufs Korn nimmt.

WORKING ON (2004, Abbildung auf der Einladungskarte) hält sich an Darwin und zeigt die Gesetze des Survival of the fittest: Lächle, so wirst Du geliebt. In dieser Arbeit begegnet der Betrachter einem weiteren pars-pro-toto, dem Mund, losgelöst aus der gewohnten Umgebung des fotografierten Gesichts. Rotglänzende Lippen reden von Verlockung und Anderem: "Beim Menschen ist das Lächeln normalerweise ein Ausdruck der Freude, kann aber auch ein unkontrollierter Ausdruck von Ängstlichkeit sein. Es ist keine lernbare Reaktion, sondern wird den Menschen schon von Geburt an mitgegeben. Bei den Tieren wird ein Lächeln oft als Drohung verwendet (die Zähne zeigen) oder aber als Zeichen der Unterwerfung."1 Poliertes Zahnweiss blitzt auf, ein Knurren bleibt ungehört. Gummibänder sorgen für nicht nachlassende Spannkraft. 54 Muskeln braucht es, um ein ernstes Gesicht zu machen, ein Lächeln aktiviert nur 43 Gesichtsmuskeln; den Widerstand gilt es zu überwinden.

Vögel in RORSCHACH (2004), exotische Insekten in SEAMING, bissige Schlunde in WORKING ON: Tierisches beansprucht einen wichtigen Platz in der Arbeit von Isabel Schmiga, wenn auch eher im Zustand der Latenz als untergründig lauernde Kreatürlichkeit denn als belebt pulsierender Körper. Wie in der Plastik GREYHOUND (2005):

Greyhounds sind Rudeltiere mit einem sicheren Instinkt für Rangordnungen. "Als Welpe wird Ihr Hund Sie als Alphatier betrachten. Ihr junger Hund wird Ihnen am Anfang von Raum zu Raum nachlaufen; damit will er Sie auf Ihre Vorherrschaft hin prüfen. Wenn Sie die Rolle des Alphatieres nicht erfüllen können mit Begriffen, die Ihr Hund verstehen kann, wird er sofort versuchen, selber die Führung zu übernehmen."2 Andernfalls nimmt er Reissaus, berstend vor Freiheitsdrang.

Die Haut eines Greyhounds lagert auf dem Boden des Ausstellungsraums - das Innere hat sich verflüchtigt, der Hund ist entlaufen. Zurück bleibt das abgezogene Fell: Vor den Füssen des Betrachters liegt ein dicker Balg, ein sauberer Trennschnitt entlang des Rumpfs erregt Befürchtungen - Fahrerflucht, Schlachtung, Sektion? Dabei ist die Haut nicht ab-, sondern übergezogen: Das nur scheinbar kottriefende Fell ist in Wirklichkeit eine dicke Schicht aus miteinander verklebten Robydogtüten, Spurentilger des tierischen Ausdrucks in einer zivilisierten Stadtlandschaft, Kostüm eines Wolfs im Schafspelz, der seine Rolle geschmissen hat.

Die Objekte und Zeichnungen von Isabel Schmiga zeigen das eine und meinen das andere. "Ceci n'est pas une pipe", soviel scheint klar, der Rest bleibt in der Schwebe. Schwebeteilchen sind luftgetragene Partikel, Aerosole genannt, die das regionale und globale Klima beeinflussen: Sie reduzieren die Strahlung, die von der Sonne auf den Erboden einfällt und reflektieren einen Anteil zurück ins All. Die Arbeiten von Isabel Schmiga beeinflussen festsitzende Sehgewohnheiten, indem sie unser sicheres Wissen um die feste Zuordnung der Bedeutungen reduzieren und diese Irritationen reflektieren.

ISABEL FRIEDLI
Wissenschaftliche Assistentin, SCHAULAGER, Basel


1 http://de.wikipedia.org/wiki/Lächeln 2 Tieranthropologen sind der Ansicht, dass aus der Urrasse der Greyhounds alle anderen heute domestizierten Hundearten hervorgegangen sind.

Spuren der Existenz dieser Tiere in Zeichnungen und Artefakten reichen bis über 8000 Jahre zurück. Die Ägypter verehrten die Tiere als Gottheit und stellen sie häufig in Wandmalereien in königlichen Grabstätten dar. Im alten England kannte man das Sprichwort "You could tell a gentleman by his horses and his Greyhounds. Kleopatra veranstaltete Hunderennen mit Greyhounds, und in der Gefolgschaft der Jagdgöttin Diana findet man sie ebenfalls. (aus: www.adopt-a-greyhound.org/
about/body_about.html)